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Am nächsten Morgen erwachte ich vom Läuten des Telefons. Jetzt, nachdem Destiny gefunden worden war, hatte ich gut geschlafen und selbst Bella hatte mich nicht wie üblich früh geweckt. Dies beunruhigte mich einen kurzen Moment lang und noch bevor ich den Hörer abnahm, vergewisserte ich mich, dass meine kleine Katze friedlich schlummerte und tief und gleichmässig atmete. Meine Ruhe hatte sich wohl auf sie übertragen.
„Wenn Mona am Apparat ist, hänge ich gleich wieder auf“, nahm ich mir vor und freute mich sehr, stattdessen Lillys fröhliche Stimme zu hören. Ich hatte sie vermisst. „Möchtest du mich in die Tierarztpraxis begleiten?“ fragte sie. „Timo kommt später auch. Wir wollen besprechen, was mit der Hündin geschehen soll. Ich selbst habe sie noch gar nicht gesehen, da ich gestern nicht dabei sein konnte.“ Ich sagte zu und wir beschlossen, uns in einer Stunde zu treffen. Ich wurde fast ein wenig aufgeregt während ich duschte und mich bereit machte. Endlich würde ich diesen berühmten Doktor kennen lernen, von dem ich schon so viel gehört hatte. Ich war sehr gespannt auf ihn.
Lilly umarmte mich herzlich zur Begrüssung. Im Gegensatz zu ihrer Schwester Lola, welche ich bisher nur in dunklen, düsteren, tief ausgeschnittenen Kleidern gesehen habe, sah Lilly zauberhaft aus in ihrem luftigen, farbigen Sommerkleid. Während wir vor der Praxis auf Timo und Buddy warteten, überlegte ich hin und her, ob ich Lilly von Monas Kontaktaufnahme erzählen sollte. Doch da ich keine Ahnung hatte, wie sie und Mona zueinander standen, liess ich es bleiben. Ohnehin tauchten kurz vor Timo überraschend Patrick und Johanna auf und ich vergass Mona für den Moment. Als wir vollzählig waren, öffnete Lilly die Tür zur Praxis. Der Doktor kam uns strahlend und mit ausgestreckter Hand entgegen. „Ich freue mich sehr, endlich Lolas Freunde kennen zu lernen“, sagte er. „Die Freude ist ganz auf meiner Seite“, dachte ich bei mir und musste schmunzeln. Dieser junge Mann gefiel mir sehr gut. Ich erwischte mich beim Gedanken, dass ich, wenn ich jünger wäre, wohl täglich einen Grund finden würde, um meine Katze zu ihm zu bringen. Er sah sehr seriös aus in seinem weissen Kittel, der einen Kontrast bildete zu seinen dunklen Haaren und Augen, doch um seinen Mund schien ständig ein amüsiertes Lächeln zu spielen. Lilly sah mich grinsend an. „Wow“, machte ich mit einer lautlosen Mundbewegung, so, dass nur sie es sehen konnte. „Ich weiss“, formten ihre Lippen zurück und sie blinzelte mir zu. Lola war im Nebenzimmer und kümmerte sich um Destiny. Nun brachte sie sie zu uns ins Untersuchungszimmer und setzte sie auf den Behandlungstisch. Die Hündin war kaum wieder zu erkennen. Ihr Fell war goldbraun und stand in luftigen kleinen Büscheln ab. Am runden Bäuchlein kringelten sich die Haare zu Locken. Ich verliebte mich augenblicklich in sie. Destiny schaute vorsichtig mit ihren ausdrucksvollen Augen in die Runde und wedelte ganz leicht mit dem Schwanz, drückte sich jedoch weiterhin schutzsuchend an Lola. Alle lachten, als Timo leicht an meinen Haarbüscheln zupfte. „Dein Hund, Wispy. Ihr habt offenbar bereits denselben Friseur.“ „Sagst ausgerechnet du“, witzelte Lilly. „Wenn man dich und Buddy von hinten sieht, denkt man, ihr seid Zwillinge.“ Timo schaute überrascht, ihm war dies offenbar gar nicht aufgefallen. Ich seufzte. „Ach, ich wünschte, ich könnte sie zu mir nehmen. Doch da ist Bella und ich weiss nicht, wie sie auf Hunde reagieren würde. Zudem ist deren Haltung in unserem Haus sowieso verboten. Eine ganze Hundefamilie könnte ich wohl schwer verstecken.“
Während wir redeten, streichelten Lola und der Doktor Destiny ununterbrochen. Ihre Hände bewegten sich langsam und gleichmässig, ohne sich je zu berühren. Dies war offensichtlich nicht das erste Tier, welches von ihnen gemeinsam beruhigt wurde. „Destiny wurde wahrscheinlich von jemandem ausgesetzt, der erst auf der Reise bemerkt hat, dass sie trächtig ist. Bis zu den letzten Wochen, wenn der wachsende Bauch nicht mehr zu übersehen ist, kann es schwierig sein, zu erkennen, ob eine Hündin Junge erwartet“, erklärte der Doktor. „Sie trägt keinen Chip und kommt wahrscheinlich aus dem Ausland. Das Restaurant hatte zwei Tage zuvor noch geöffnet, vermutlich dachten Destinys Besitzer, dass sie am nächsten Morgen vom Personal oder den ersten Gästen gefunden würde. Nicht, dass es das besser macht! Doch zumindest wollten sie nicht ihren Tod, sonst hätten sie nicht Futter und Wasser zurückgelassen. Es geht Destiny den Umständen entsprechend zufriedenstellend. Sie war dehydriert und ausgehungert und braucht noch Pflege, doch sie ist soweit gesund und ihren ungeborenen Jungen scheint es ebenfalls gut zu gehen. Ich rechne mit drei bis vier Welpen, doch mit 100%iger Sicherheit konnte ich deren Anzahl per Ultraschall nicht feststellen. Dazu hätte ich Destiny unter Vollnarkose röntgen müssen, eine Strapaze, die ich dem armen Tier nun nicht auch noch zumuten wollte.“
Ich beschloss auf der Stelle, den bedeutend längeren Weg in Kauf zu nehmen und meine Bella nur noch zu diesem Tierarzt zu bringen. „Schade habe ich keine Tochter“, dachte ich, „dies wäre mein Traumschwiegersohn.“ Lilly lächelte mich verschmitzt an, als ob sie meine Gedanken gelesen hätte. Ich wurde verlegen und konzentrierte mich schnell auf Destiny. Die Frage war nun, wer kannte jemanden, der die Hündin aufnehmen würde? In ein Tierheim würden wir sie keinesfalls geben, da waren wir uns einig. Wir wollten sicher sein, dass sie eine schöne Zukunft vor sich hatte und wir wollten sie auch weiterhin sehen können.
Offenbar ist es alles andere als einfach, einen Hund zu platzieren, erst recht eine trächtige Hündin. Wir gingen in Gedanken alle unsere Bekannten durch. Die einen hatten bereits einen Hund, andere durften keinen halten oder mochten Hunde nicht. „Für die Jungen finden wir sicher später gute Plätzchen“, meinte Lola, „ich kann hier in der Praxis ein kleines Plakat aufhängen. Doch für die ersten paar Wochen übernimmt man mit Destiny einen anspruchsvollen Fulltime-Job, dies kann nicht bestritten werden.“
Wir fanden keine Lösung. „Ok“, sagte der Doktor schliesslich, „bitte bring Destiny wieder ins andere Zimmer, Lola. Mein nächster Patient wird jeden Moment hier sein. Morgen gehe ich meine Kundenkartei durch, vielleicht finde ich jemanden. Destiny kann ein paar Tage lang hier bleiben, die Geburt steht noch nicht unmittelbar bevor. Nachts nehme ich sie natürlich mit nach Hause, man weiss ja nie.“ Wenn er mein Herz nicht bereits erobert hätte, hätte er es jetzt getan. Auch die anderen schauten ihn dankbar an. „Wir werden heute Abend weiter diskutieren“, beschlossen alle einstimmig. „Wo?“ fragte ich und realisierte augenblicklich, dass dies für meine Freunde eine überflüssige und eigenartige Frage war. „Bei Mona natürlich. Soll ich dich abholen?“ fragte Timo. „Nein!“, entfuhr es mir lauter, als ich gewollt hatte. Ich meinte, nein, nicht bei Mona, doch Timo fasste es anders auf. „Auch gut, wenn du den Weg bereits selber findest, musst du dich zeitlich nicht festlegen. Du kannst mich jederzeit anrufen, wenn du doch möchtest, dass dir jemand entgegen kommt. Nachtessen gibt es immer ungefähr um 19.00 Uhr.“
Tief in Gedanken machte ich mich auf den Heimweg. Lilly hatte sich entschuldigt, sie hatte noch einiges zu tun an ihrem freien Tag. Timo und Patrick hatten beschlossen, zusammen Mittagessen zu gehen. Ich war schon fast bei meiner Tramhaltestelle angekommen, als ich plötzlich von einem Geschäft auf der anderen Strassenseite angezogen wurde, ohne zu wissen wieso. Ich ging hinüber und schaute mir die Schaufenster an. Es war eine kleine, antiquarische Buchhandlung mit unübersichtlicher Auslage. Da ich sehr gern lese, war ich interessiert, doch dies waren vor allem Fachbücher über Psychologie und Lebensführung. Daneben, was mir irgendwie unpassend schien, lagen einige Bücher über Zauberei. Ich wollte weitergehen, fühlte mich jedoch wie auf dem Gehsteig festgehalten, ohne zu verstehen wieso. Plötzlich bewegten sich auf einem der Bücher die Flügel eines Schmetterlings. Für einen kurzen Moment glaubte ich wirklich an Zauberei, denn ich hatte das zarte Flatterwesen für ein Foto auf dem Buchumschlag gehalten. Doch nun sah ich, dass es ein lebender Schwalbenschwanz war, der wohl unbemerkt in den Laden und ins Schaufenster geflogen war und den Weg zurück kaum mehr selber finden würde. „Na, hast du mich gerufen?“, fragte ich ihn. „Natürlich hole ich dich hier raus. Nach einer trächtigen Hündin nun ein Schmetterling“, dachte ich lächelnd. „Ich backe neuerdings wohl kleinere Brötchen. Mir soll’s recht sein. Hunde haben wir für den Moment genug.“
Als ich die ziemlich düstere und muffige Buchhandlung betrat, deren Tür beim Öffnen eine laute Melodie spielte, war ich sehr gespannt, wen ich da antreffen würde. Ich stellte mir einen alten, buckligen Mann vor, der womöglich gern durchschaubare Zaubertricks vorführte und war sehr überrascht, als mich eine Frau begrüsste, die wohl nicht viel jünger war als ich. Dies bemerkte ich jedoch erst auf den zweiten Blick, denn sie bewegte sich sehr lebhaft und war in farbenfrohem Stil angezogen. Wenn sie umher ging, flatterten eine Menge bunter, dünner Stoffe um ihren Körper. Ihre Haare waren zwar weissgrau, jedoch dicht, lang und wellig, was ihr ein jugendliches Künstleraussehen verlieh. Mit einem Schlag fühlte ich mich wie eine graue Maus, bieder und farblos. Ich würde besser in diesen staubigen, alten Laden passen als dieses farbenfrohe Geschöpf.
„Kann ich behilflich sein, oder möchten Sie sich ein wenig umschauen?“ riss mich die Frau aus meinen Gedanken. Mir kam es vor, als ob sie mich kurz gemustert hätte und nun aus irgendeinem Grund enttäuscht sei. Dieses Gefühl wurde noch stärker, als ich ihr erklärte, dass ich nur den Schmetterling aus ihrem Schaufenster befreien wollte. Trotzdem war sie hilfsbereit und gab mir ein Blatt Papier, welches ich unter den Falter schieben konnte. Ich ging damit vor die Tür und sah zu, wie der Schwalbenschwanz augenblicklich steil und sehr zielstrebig gegen den Himmel flog. „Du willst wohl so schnell wie möglich weit weg, pass von jetzt an besser auf dich auf“, rief ich ihm noch nach. Nach kurzem Zögern ging ich in die Buchhandlung zurück und nahm nach einigem Stöbern ein schmales, bebildertes Bändchen über Schmetterlinge mit zur Kasse. Es war nicht so, dass Sommervögel nun mein neues Hobby werden sollten, doch ich wollte mich für die Hilfe bedanken, indem ich etwas Kleines kaufte. Ich blätterte das Büchlein kurz durch. Alle machen sich schön, dachte ich plötzlich beim Anblick der farbenfrohen Falter und beobachtete unauffällig die Buchhändlerin, die mir auch fast wie ein Schmetterling vorkam, wie sie sich leichtfüssig in ihren flatternden Stoffen durch den Laden bewegte. Meine eigenen Kleider waren durchs Band unauffällig, praktisch, bequem – und extrem langweilig, realisierte ich nun und nahm mir vor, mir wieder einmal ein paar neue Sachen zu leisten. Das Büchlein kostete nur ein paar Franken. Ich hätte gern ein Gespräch mit der Buchhändlerin angefangen, doch sie blieb reserviert, wenn auch freundlich. Als ich mich zum Gehen wandte, hatte ich das Gefühl, dass sie insgeheim aufatmete.
Monate später, als ich sie sehr gut kennen gelernt hatte, fragte ich sie einmal danach. Sie lachte und gestand mir, da sie zu jener Zeit soeben diese alte Buchhandlung von ihren Brüdern übernommen hätte, sei sie auf Umsatz angewiesen gewesen. „Ich wollte die Räume so schnell wie möglich renovieren und hell streichen lassen. Der abgetretene Boden musste ersetzt werden. Ich würde jemanden einstellen müssen, um Ordnung ins Lager und in den Laden zu bringen. Es gab nebenher viel Administratives für mich zu tun und ich hatte eingesehen, dass ich es nicht allein schaffen konnte. Ich wollte alles moderner, schöner, fröhlicher machen. Ich hatte viele Ideen und kein Geld. Damals dachte ich noch, es gehe ohne Bankdarlehen.“ „Und als ich reinkam…?“ fragte ich, doch ich konnte mir die Antwort denken. Sie legte mir entschuldigend die Hand auf den Arm und drückte ihn. „Du warst an dem Tag erst die zweite Kundin. Der erste war ein Student, der eine Stunde lang im Laden blieb, so dass ich nichts anderes erledigen konnte in dieser Zeit. Er sah sich viele Bücher an, las stellenweise darin und fragte mich schliesslich, ob ich an einem Tausch interessiert sei: seine alten Schulbücher gegen ein paar Zauberbücher. „Zaubern wird dir auch nicht durch die Prüfungen helfen“, versuchte ich zu scherzen, doch auf sein Angebot bin ich nicht eingegangen. Dann kamst du rein und sahst auch nicht nach Bücherwurm aus. Die schauen nämlich nicht mich so genau an, sondern steuern direkt auf die Bücher zu. Ich hatte richtig geraten: Du wolltest nur einen Schmetterling retten. An diesem Morgen realisierte ich frustriert, dass dieses Antiquariat ein schönes Hobby für meine Brüder gewesen war, doch wenn es etwas abwerfen sollte, würde ich viel ändern müssen. Ich fühlte mich von diesem Gedanken überfordert und hatte leider nicht meine beste Laune.“
Als ich an jenem Tag mit dem Büchlein in der Tasche nach Hause fuhr, hatte ich die Buchhandlung jedoch bald wieder vergessen. Ich hatte absolut keine Lust, später zu Mona zu fahren, doch verpassen wollte ich die Gespräche über Destiny ebenfalls nicht. Ich fühlte mich für diese Hündin verantwortlich, schliesslich hatte sie mich ausgesucht für ihren Hilfeschrei. Zumindest hatte ich ihn als erste empfangen. Ich konnte sie jetzt nicht ihrem Schicksal überlassen. Nach einigem Hin und Her gab ich schliesslich Timo Bescheid, dass ich erst nach dem Essen kommen würde. So wenig Zeit mit Mona verbringen wie möglich, nahm ich mir vor, bis sie realisieren würde, dass ich nicht im Traum daran dachte, sie hinter dem Rücken meiner Freunde anzurufen.
Ich hörte ihre Stimme bereits von weitem, als ich am Abend aufs Haus zuging. Offenbar war eine hitzige Diskussion im Gange. Mona tönte schrill. „Auf gar keinen Fall! Ich will keinen Hund im Haus und schon gar nicht Hunde, Mehrzahl. Schliesslich arbeite ich Vollzeit. Es ist mir egal, wie gut ihr euch das ausgedacht habt, die Hauptarbeit würde trotzdem an mir hängen bleiben.“ Als sie mich um die Ecke kommen sah, hörte Mona auf zu reden. Während mich alle anderen begrüssten, schwieg sie und schaute finster ins Feuer. Es waren mehr Leute in der Runde als das letzte Mal, ich kannte sicher die Hälfte davon nicht. „Gut“, sagte Timo, als ich mich gesetzt hatte, „wir brauchen ein neues Brainstorming.“ „Gut“ nennst du das“, murrte Patrick leise, der offenbar meine Antipathie für Mona teilte. Wir tauschten einen raschen, verschwörerischen Blick aus. Leider war zwei Stunden später noch immer keine Lösung gefunden. Wir hatten alle Freunde und Bekannte angerufen, doch niemand war bereit, eine trächtige Hündin zu übernehmen. Einige sagten nein wegen ihrer Katzen oder den kleinen Kindern, andere weil sie allergisch auf Tierhaare reagierten oder, wie Timos Eltern, weil sie gerade eine längere Reise gebucht hatten. Viele wollten zeitlich unabhängig bleiben oder waren schlicht zu wenig zu Hause, um sich angemessen um ein Tier kümmern zu können. Als Mona ihre Zigarettenpause auf der Terrasse machte, zeigte Timo mit dem Kopf auf sie und sagte nachdenklich: „Vielleicht können wir sie überzeugen, indem wir ihr mehr konkrete Hilfsangebote machen.“ Sofort kamen viele Ideen zusammen. Alle würden mithelfen, den Hunden einen umzäunten Auslauf zu bauen hinter dem Haus. Albert wäre sicher einverstanden, die Tiere am frühen Morgen zu füttern und bei gutem Wetter ins Freie zu lassen. Mit einem Wochenplan könnten wir sicherstellen, dass an jedem Vormittag jemand von uns bei den Hunden wäre. „Albert hat seine Tour meistens kurz nach Mittag beendet“, wusste Patrick. „Er schaut bestimmt zu den Tieren, bis wieder einer von uns da ist. Wenn die Welpen erst platziert sind, wird es sowieso einfacher. Dann können wir Destiny tagsüber mitnehmen.“
Als Mona sich wieder zu uns gesetzt hatte, hörte sie sich diese Vorschläge schweigend an. „Du hättest kaum Arbeit mit den Hunden, Mona, und du hast doch so ein gutes Herz“, schmeichelte Timo. Patrick und ich tauschten einen weiteren Blick aus und verdrehten die Augen. „Wenn die Welpen gross genug sind, finden wir gute Plätze für sie“, fuhr Timo fort. Vielleicht magst du Destiny dann behalten, sonst bleibt sie bei einem von uns.“ Alle nickten begeistert, nur Mona schüttelte hartnäckig den Kopf. „Ich mache viel für euch, doch Hundehaare in der Wohnung und wenn möglich auf meinen Kleidern kann ich nicht gebrauchen. Auch dieser Sommer wird vorbeigehen und einen Hund im Winter ausschliesslich im Freien zu lassen, halte ich für Tierquälerei. Zudem ist mir meine Nachtruhe heilig. Da hört für mich der Spass auf. Also: nein! Sucht eine andere Lösung.“ Damit stand sie auf, stellte energisch und mit viel Geklirr das benutzte Geschirr zusammen und trug es ins Haus.
Rundum enttäuschte Gesichter, niemand sagt etwas. Alle schauten Timo an. Er schüttelte den Kopf und sagt schliesslich leise: „Ich glaube nicht mehr daran, dass wir Mona überreden können. Ihre Meinung scheint festzustehen.“ Schweigend tranken wir den Kaffee, den Johanna uns geholt hatte. Es wurde kühler. Ich ging ins Haus, um meine Jacke zu holen und erschrak richtig, als plötzlich Mona vor mir stand. „Hast du jemandem davon erzählt?“ zischte sie, und es war klar, wovon sie sprach. „Nein, doch ich habe absolut nicht im Sinn, mit dir allein zu reden“, gab ich ärgerlich zur Antwort. Mona war mir an diesem Abend nicht sympathischer geworden. Nun drehte sie sich wortlos um und stöckelte Richtung Sitzplatz. Ich benutzte das Badezimmer, bevor ich ebenfalls langsam zu den Freunden zurück ging, um mich verabschieden und danach heimzufahren. „Ich habe es ihnen bereits erzählt“, rief mir Mona stattdessen entgegen, „dass du mir die Hunde vorhin so überzeugend ans Herz gelegt hast, dass ich es mir doch nochmals überlege.“ Während ich verwirrt versuchte zu verstehen, was sie meinte, schauten mich alle hoch erfreut an und klatschten. Und so sah niemand ausser mir, wie Mona mich direkt ansah, spöttisch fragend ihre Augenbrauen hochzog und mit der linken Hand die Geste fürs Telefonieren machte. Dann drehte sie die offenen Handflächen gegen den Himmel und zuckte mit den Schultern. Es war klar, dass sie ihre Antwort von mir abhängig machen würde. „Ich habe Wispy jedoch erklärt, dass ich definitiv ihre Hilfe brauchen werde. Schliesslich hat sie mich zur Hundehaltung überredet, sie soll auch etwas beitragen. Zeit hat sie bekanntlich. Wenn sie also ja sagt…“ warf Mona mit harmloser Stimme in die Runde. Mir blieb die Luft weg angesichts so viel Kaltschnäuzigkeit. Sie fragte mich doch tatsächlich vor allen, doch nur ich wusste, was sie wirklich meinte. „Du siehst völlig überrumpelt aus, Wispy“, sagte Timo und umarmte mich. „Du hättest offenbar selbst nicht erwartet, dass ausgerechnet du Monas Herz erwärmen kannst. Wir auch nicht, ehrlich gesagt. Du hilfst ihr doch, oder? Wie wir alle?“ Ich sah in seine strahlenden, glücklichen Augen, sah die goldbraungelockte Destiny vor mir mit Lola und ja, auch dem attraktiven Tierarzt. Diese drei schienen mich ebenfalls erwartungsvoll anzusehen. Mir war klar, dass Mona gewonnen hatte. „Wie könnte ich da nein sagen“, murmelte ich und versuchte, nicht mit den Zähnen zu knirschen.
„Wenn Blicke töten könnten“ klang plötzlich wie eine Herausforderung, die ich nur zu gerne angenommen hätte.